Lernen aus der Krise
Wer hätte zu Beginn dieses Jahres geahnt, dass die Öffentlichkeit Pflegerinnen und Pfleger aus Altenheimen und Krankenhäusern, Erzieherinnen und Erzieher aus Kindertagesstätten oder die Frauen und Männer, die als Beraterinnen und Berater vor Ort die Stellung halten, zu Heldinnen und Helden erklären würde?
Die Corona-Pandemie, also die wohl schwerste wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs, hat die Frage der Systemrelevanz allen ganz rasch klargemacht. Waren es zu Zeiten der Finanzkrise 2008/2009 noch Banken, ohne die angeblich kein Gemeinwesen existieren kann, sind es jetzt Menschen. Menschen, die anderen Menschen in größter Not beistehen. Man könnte auch sagen: Corona zeigt, was richtig wichtig ist.
Bedeutung der Daseinsvorsorge
Zum Beispiel Krankenhäuser und deren Mitarbeitende. Nicht wenige "Experten" forderten in den vergangenen Jahren einen Abbau von Überkapazitäten, da es angeblich vor allem in Ballungsgebieten zu viele kleine Krankenhäuser und Betten gebe. Die Corona-Pandemie verändert hier das Bewusstsein grundlegend. Krankenhäuser können eben nicht als Wirtschaftsunternehmen betrachtet werden, die jederzeit genug Rendite erbringen müssen und dafür Personal, Ausrüstung und Notfallkapazitäten stets knapp halten sollten. Krankenhäuser sind vielmehr elementarer Teil der sozialen Infrastruktur für die Menschen in ihren Regionen. Letztlich waren es ja gerade die zu Beginn der Corona-Krise geschaffenen zusätzlichen Kapazitäten - etwa auf den Intensivstationen -, die die Bedrohlichkeit der Pandemie in Deutschland abmilderten und den Menschen das Vertrauen gaben, im Notfall gut versorgt zu sein.
Ebenso wie die Krankenhäuser sind auch die Altenpflegeeinrichtungen - als Teil der Daseinsvorsorge - ungeeignet als Geschäftsmodell renditeorientierter Unternehmen. Systemrelevanz verträgt sich nicht mit einem entfesselten Wettbewerb, im Gegenteil: Sie erfordert faire und tariflich geregelte Bezahlung und ausreichend menschliche Zuwendung - und genau hier ist die Gemeinnützigkeit von Trägern sehr passend. Es sei noch einmal betont: Schon jetzt liegt der Lohn in den Caritas-Heimen im Schnitt um 20 Prozent über dem Branchenmittel.
Darüber hinaus benötigt Systemrelevanz die volle Funktionsfähigkeit im Krisenfall. Der Mangel an Schutzmasken, Kitteln und Desinfektionsmitteln hat die Reaktionsfähigkeit vor Ort deutlich geschwächt. Er kann nur mit einer vonseiten des Landes deutlich unterstützten Vorratshaltung beantwortet werden.
Gezeigt hat sich in der Krise auch, dass das allzu oft allein auf Ehrenamt und humanitärer Hilfe basierende System der Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Leistungen an seine Grenzen stößt. So waren Tafeln schnell leer. Menschen, die zuvor auf dieses System vertrauen mussten, standen plötzlich vor dem Nichts. Charity greift als Instrument einer starken Sozialpolitik, deren Anliegen es sein muss, die Lebensbedingungen nachhaltig zu verbessern, zu kurz.
Anreiz zum Nachdenken
Nötig ist jetzt eine Debatte darüber, wie Menschen dabei unterstützt werden können, auf der Basis einer rechtlich gewährleisteten Versorgungssicherheit ihren Lebensalltag selbstständig zu gestalten, um nicht dauerhaft auf Almosen angewiesen zu sein.
Die Corona-Pandemie nährt den Wunsch nach schnellen und einfachen Lösungen. Begreifen wir die Krise jedoch auch als Anreiz zum Nachdenken, Klären und Verändern: Was wir mit Blick auf Krankenhäuser und Pflegeheime, aber ebenso für die Armutsbekämpfung benötigen, sind klare Aussagen der Sozialpolitik und nachhaltige Strategien, die letztlich vor allem eines sein müssen: krisenfest.