Nötig ist mehr als Generationengerechtigkeit!
Wie verändert sich unsere Gesellschaft dadurch, dass sie kollektiv altert und mehr ältere Menschen tendenziell einen höheren Pflegebedarf haben? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Sozialpolitik, den Sozialstaat und die Soziale Arbeit?
Generationengerechtigkeit" - ein missverständliches Leitbild der Sozialpolitik
Häufig heißt es, man könne bald nicht mehr Renten in der bisherigen Höhe zahlen, weil es immer mehr Alte und immer weniger Junge gebe. Die Rentenhöhe hängt jedoch gar nicht in erster Linie von der Demografie, d. h. von der Alterszusammensetzung der Bevölkerung ab, sondern ist weniger eine Frage der Biologie als eine Frage der Ökonomie und der Politik. Ökonomisch lautet die entscheidende Frage: Wie groß ist der gesellschaftliche Reichtum, der erwirtschaftet wird, und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem die Rente gezahlt werden muss? Da nützt es gar nichts, auf Kapitaldeckung umzustellen, wie mit der Riester-Reform ansatzweise geschehen. Wenn nämlich viele alte Menschen die von ihnen erworbenen Wertpapiere und Aktien zur Sicherung Ihres Lebensstandards verkaufen müssen und es zeitgleich nur wenige Junge gibt, die Wertpapiere kaufen, wird der Kurs dieser Wertpapiere in den Keller gehen. Die eigentliche Kardinalfrage ist jedoch eine politische: Wie wird der höchstwahrscheinlich auch in Zukunft weiter wachsende Reichtum auf die unterschiedlichen Klassen und Schichten, aber auch auf die unterschiedlichen Altersgruppen in unserer Gesellschaft verteilt?
Jedes fünfte Kind ist hierzulande von der (Einkommens-)Armut seiner Familie betroffen, weil diese weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoäquivalenzeinkommens zur Verfügung hat. 1,6 Millionen Kinder unter 15 Jahren (von 10,6 Millionen dieser Altersgruppe insgesamt) leben in landläufig "Hartz-IV-Familien" genannten SGB-II-Bedarfsgemeinschaften. Es gab aber auch noch nie so viele reiche Kinder wie heute: Wohlhabende und reiche Eltern verschenken kurz nach der Geburt ihrer Kinder einen Teil ihres Vermögens, zum Beispiel ihres Wertpapierdepots, an sie, um Steuerfreibeträge in Anspruch zu nehmen. Das heißt, wir haben in der jungen Generation eine wachsende soziale Ungleichheit.
Vor einiger Zeit sind die Gebrüder Albrecht, Gründer der Aldi-Ketten Nord bzw. Süd und damals die beiden reichsten Männer der Bundesrepublik, mit jeweils über 90 Jahren gestorben. Ihr Privatvermögen belief sich auf 20 bis 30 Milliarden Euro - zwei Greise lebten in unvorstellbarem Reichtum. Es gibt jedoch auch 812.000 Senior(inn)en, die im Rahmen eines Minijobs beispielsweise frühmorgens Zeitungen austragen, öffentliche Toiletten putzen oder Regale in Supermärkten einräumen, wenn sie nicht sogar verschämt Pfandflaschen oder Essensreste aus Müllcontainern klauben. 128.000 Minijobber/innen sind 75 Jahre oder älter und man fragt sich, wie sie ihre kleine Rente aufstocken wollen, wenn der Gesundheitszustand es nicht mehr zulässt und Pflegebedürftigkeit eintritt. Auch sind die Senior(inn)en jene Bevölkerungsgruppe, in der die Zahl der Grundsicherungsbezieher/innen am schnellsten wächst und die Dunkelziffer derjenigen Personen am höchsten ist, die staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nehmen könnten, es aber aus Unwissenheit, Stolz, Scham oder Angst vor den bürokratischen Hürden nicht tun.
Das in den Massenmedien häufig gezeichnete Bild einer intergenerationalen Kluft zwischen Arm und Reich hält einer empirischen Überprüfung nicht stand: Rentnerhaushalte weisen auf der Ebene bedarfsgewichteter Haushaltseinkommen eine viel geringere Wohlstandsposition auf als Arbeitnehmerhaushalte, was die Hypothese mangelnder Generationengerechtigkeit auch zu Lasten der mittleren Jahrgänge widerlegt. Zudem dürfte sich die Struktur der Armutspopulation etwa infolge der starken Zunahme diskontinuierlicher Erwerbsverläufe und prekärer Beschäftigungsverhältnisse, der zahlreichen Kürzungen im Sozialbereich, aber auch von Scheidungen und der Anzahl nicht eigenständig gesicherter Frauen künftig wieder in Richtung der Senior(inn)en verschieben.
Was ist diesem Vergleich der Soziallagen unterschiedlicher Altersgruppen für das Thema "Generationen(un)gerechtigkeit" zu entnehmen? Die soziale Scheidelinie in unserem Land verläuft nicht zwischen Jung und Alt, sondern nach wie vor, ja mehr denn je zwischen Arm und Reich - unabhängig vom Lebensalter der Personen! Mit dem Begriff "Generationengerechtigkeit" verbindet sich indes bei vielen Menschen die Vorstellung, die Jungen seien arm und die Alten reich. Dabei vertieft sich die Kluft zwischen Arm und Reich in jeder Generation. Die soziale Polarisierung, Folge der Globalisierung, der neoliberalen Modernisierung bzw. der Umstrukturierung fast aller Gesellschaftsbereiche nach dem Vorbild des Marktes, wirkt sich auf jede Altersgruppe gleich aus: Armut geht mit wachsendem Wohlstand und vermehrtem Reichtum einher; wenn man so will, bildet sie dessen Kehrseite. Der gesellschaftliche Verteilungskampf verschärft sich aufgrund einer unsozialen Standortpolitik, was nicht mehr sichtbar ist, wenn er zu einem "Krieg der Generationen" uminterpretiert wird. Verdienstvoll ist die Caritas-Kampagne, wenn sie das Zusammenwirken von Jung und Alt in den Fokus rückt sowie den Zusammenhalt zwischen den Generationen und innerhalb jeder Generation stärkt.
Die unsozialen Folgen einer zuletzt kaum mehr übersehbaren Arm-Reich-Polarisierung zwischen den wie innerhalb der einzelnen Gesellschaften machen einen verstärkten Rekurs auf die soziale Gerechtigkeit erforderlich. Letztere ist kein "Standortrisiko", wie uns manche Ökonomen glauben machen wollen, sondern die Grundlage einer humanen, demokratischen und friedlichen Gesellschaftsentwicklung. Um ihrer großen Verantwortung dafür gerecht zu werden, muss die Caritas vor allem vermitteln, dass Menschen kein "Humankapital" und Kommunen, Regionen oder Länder mehr als "Wirtschaftsstandorte" sind.
Soziale Gerechtigkeit durch eine solidarische Bürgerversicherung
24 Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, FDP und CDU/CSU unter 40 Jahren traten im Juli 2003 mit einem Memorandum "Deutschland 2020" an die Öffentlichkeit, das unter Mitwirkung der von den Metallarbeitgebern finanzierten "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", der Altana AG und des Think Tanks "res publica" entstanden war, mehr Generationengerechtigkeit forderte und sich gegen eine Verschleppung von Reformen wandte. Nötig sei eine Neudefinition von Gerechtigkeit, die nicht mehr "sozialstaatliche Transfergerechtigkeit" sein dürfe, sondern als "Teilhabegerechtigkeit" für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu ökonomisch tragfähigen Formen sozialer Absicherung sorgen müsse: "Wer heute die soziale Gerechtigkeit nur an der Höhe staatlicher Transfers mißt, der beschränkt damit die Teilhabegerechtigkeit unserer Kinder und Enkel." Generationengerechtigkeit bedeute, dass die von der aktiven Bevölkerung geschaffenen Ressourcen gerecht verteilt würden und dass die Politik für eine Realisierung dieser Potenziale sorge.
Wer stimmt nicht willig ein, sobald der Ruf nach (mehr) Generationengerechtigkeit erschallt? Darunter versteht man die Forderung nach einer fairen Aufteilung der Ressourcen und Lasten zwischen den Generationen (beispielsweise im Hinblick auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme). Freilich unterscheidet sich das Alter von ihm scheinbar verwandten Kategorien wie Geschlecht oder Abstammung bzw. ethnischer Herkunft dadurch, dass man zwar altert, aber in der Regel nicht das Geschlecht wechselt und die Abstammung/Herkunft für immer festliegt. Wenn man Jüngere gegenüber Älteren schlechter stellt, gleichen sich die Nachteile im weiteren Verlauf eines Lebens wieder aus. Der deutsche Sozialstaat hat durch seine enge Bindung an die sog. Normalbiografie, das Normalarbeitsverhältnis und die Normalfamilie insofern einen Altersbias, als Transferleistungen im Lebensverlauf (Längsschnitt) ungleich auf die einzelnen Generationen verteilt sind. Darin besteht aber keine Ungerechtigkeit und daraus folgt mitnichten, dass die Älteren den Sozialstaat und/oder die Jüngeren ausbeuten.
Von manchen Politikern wird "Generationengerechtigkeit" als politischer Kampfbegriff eingesetzt, der falsche Fronten zwischen verschiedenen Jahrgangskohorten aufbaut und ideologisch rechtfertigen soll, dass Renten gekürzt und "mehr Eigenverantwortung" von Menschen gefordert wird, die aufgrund ihres niedrigen Lohns gar nicht in der Lage sind, privat für das Alter vorzusorgen. Der seit 1957 bewährte Generationenvertrag (lohn- und beitragsbezogenes Umlageverfahren in der Gesetzlichen Rentenversicherung) wird unter Hinweis auf den demografischen Wandel zum Auslaufmodell erklärt, das Kapitaldeckungsprinzip als vermeintlich "demografieresistent" geradezu glorifiziert. Alle seriösen Berechnungen zeigen jedoch, dass sich die Folgen des demografischen Wandels für die Gesetzliche Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung in Grenzen halten. (Arbeits-)Produktivität, Bruttoinlandsprodukt und Volkseinkommen wachsen parallel zu Veränderungen des Altersaufbaus der Bevölkerung. Zudem hat das Tief der Aktienkurse nach dem 11. September 2001 und in der globalen Finanzkrise 2008/09 gezeigt, wie problematisch es ist, mit der "Riester-Rente" auf die Börse und private Vorsorge zu setzen, wenn es um die langfristige Stabilität und Verlässlichkeit der Alterssicherung geht.
Wenn ein Wohlfahrtsstaat demontiert wird, seine Transferleistungen für Bedürftige gesenkt und die gültigen Anspruchsvoraussetzungen verschärft werden, obwohl das Bruttoinlandsprodukt der Tendenz nach wächst und der gesellschaftliche Reichtum zunimmt, kann weder von sozialer noch von Generationengerechtigkeit die Rede sein. Denn offenbar findet eine Umverteilung statt, von der gerade die Mitglieder sozial benachteiligter Alterskohorten nicht profitieren. Die Erhöhung des gesetzlichen Rentenzugangsalters von 65 auf 67 Jahre verschlechtert beispielsweise eher die Arbeitsmarktchancen künftiger Generationen, statt Vorteile für diese mit sich zu bringen. Überhaupt müsste, wer in den Ruf nach "mehr Generationengerechtigkeit" einstimmt, darum bemüht sein, dass Heranwachsende auch später noch einen entwickelten Wohlfahrtsstaat und das früher gewohnte Maß an sozialer Sicherheit vorfinden, statt Letztere weiter zu beschneiden und die Menschen der privaten Daseinsvorsorge zu überantworten. Insofern widerlegt die (Regierungs-)Politik eine Rhetorik, die auf Generationengerechtigkeit und die Grundwerte der Parteiprogrammatik (Gerechtigkeit, Geschwisterlichkeit und Solidarität) abhebt.
Deutschland braucht keinen neuen Generationenvertrag, um den Sozialstaat "demografiefest" zu machen. Vielmehr geht es darum, den Sozial(versicherungs)staat bismarckscher Prägung in Richtung einer solidarischen Bürgerversicherung weiterzuentwickeln, um ihn wieder auf ein solides finanzielles Fundament zu stellen und ihn für alle Gesellschaftsmitglieder - auch Zuwanderer und anerkannte Flüchtlinge - zu öffnen. Es gilt, einen grundlegenden Richtungswechsel der Regierungspolitik zu erreichen, eine neue Kultur der Solidarität zu schaffen, auf der Finanzierungs- ebenso wie auf der Leistungsseite notwendige Korrekturen vorzunehmen und dabei originelle Ideen einer umfassenden Strukturreform aufzugreifen, ohne die bewährte Wohlfahrtsstaatsarchitektur in Frage zu stellen. Bürgerversicherung bedeutet, dass Mitglieder aller Berufsgruppen, d. h. nicht nur abhängig Beschäftigte, aufgenommen werden. Da sämtliche Wohnbürger/innen in das System einbezogen wären, blieben weder Selbstständige, Freiberufler/innen, Beamte, Abgeordnete und Minister noch Ausländer/innen mit Daueraufenthalt in der Bundesrepublik außen vor. Somit würde die Finanzierungsbasis des Sozialsystems verbreitert und der Kreis seiner Mitglieder erweitert. Nicht nur auf Löhne und Gehälter, sondern auf sämtliche Einkunftsarten (Zinsen, Dividenden, Tantiemen, Miet- und Pachterlöse) wären Beiträge zu erheben. Arbeitgeberbeiträge könnten als Wertschöpfungs- bzw. als sog. Maschinensteuer erhoben und damit gerechter als bisher auf beschäftigungs- und kapitalintensive Unternehmen verteilt werden. Nach oben darf es weder Beitragsbemessungs- noch Versicherungspflichtgrenzen geben, die es privilegierten Personengruppen erlauben würden, sich ihrer Verantwortung für sozial Benachteiligte zu entziehen und in exklusive Sicherungssysteme auszuweichen. Nach unten muss finanziell aufgefangen werden, wer den nach Höhe des Einkommens gestaffelten Beitrag nicht selbst entrichten kann. Nur im Falle fehlender, vorübergehender oder eingeschränkter Zahlungsfähigkeit der Versicherten hätte also der Staat die Aufgabe, Beiträge bedarfsbezogen zu "subventionieren", d. h. aus dem allgemeinen Steueraufkommen zuzuschießen.
Staatsverschuldung und "finanzpolitische Nachhaltigkeit"
Nach den Renten sind die öffentlichen Haushalte ins Visier von selbsternannten Experten geraten, die mehr Generationengerechtigkeit verlangen. Eine sparsame Haushaltsführung des Staates wird heute vielfach mit dieser Forderung in Verbindung gebracht, wohingegen die öffentliche Kreditaufnahme als Verletzung des Gebotes der finanzpolitischen Nachhaltigkeit gilt. Häufig tun Neoliberale so, als hätten künftige Generationen hohe Schuldenberge abzutragen, wozu sie weder willens noch in der Lage wären. Dabei lastet dieser Schuldendienst nur auf einem Teil der kommenden Generationen; ein anderer erhält sehr viel mehr Zinsen aus (geerbten) Schuldverschreibungen des Staates, als er selbst an Steuern zahlt und profitiert dadurch sogar von heutigen Budgetdefiziten. Schließlich resultieren aus jeder Verschuldung sowohl Forderungen wie Verbindlichkeiten und beide werden an die nächste Generation "vererbt".
Zunächst klingt auch die Übertragung des Prinzips der Nachhaltigkeit von der Umwelt- auf die Fiskalpolitik plausibel. Durch die Instrumentalisierung der nachwachsenden Generationen unter dem Motto "Wir haben den Staatshaushalt nur von unseren Kindern geborgt" oder mittels solcher Schlagworte wie "Nachhaltigkeit im finanzpolitischen Bereich" verklärt man eine Politik der Haushaltskonsolidierung, die gerade für Kinder und Jugendliche nur negative Folgen zeitigt, weil sie betreffenden Bereichen (Vorschule, Schule und Hochschule) nicht mehr die nötigen Mittel zufließen. "Sparmaßnahmen" im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssystem verbauen im Namen der künftigen Generation eben jener bei fehlender Kinderbetreuung, defizitärer Schulausstattung oder fehlendem Lehrpersonal die Zukunftsperspektiven.
Zwischen ökologischen und finanziellen Ressourcen besteht ein entscheidender Unterschied: Einmal vernutzte fossile Brennstoffe fehlen künftigen Generationen, während den Schulden für öffentliche Aufgaben im besten Falle nützliche Infrastrukturangebote gegenüberstehen. Auch wenn Geld im Jugendjargon "Kohle" heißt, hat es mit dieser relativ wenig gemeinsam: Es wandert von einer Tasche in die andere, verbrennt aber nicht. Meistens befindet es sich übrigens in der falschen: Während der private Reichtum weniger Großverdiener und Kapitaleigentümer immer mehr wächst, nimmt die öffentliche Armut zu und befindet sich das System der sozialen Sicherung in einer Finanzkrise, die durch seine tiefgreifende Umstrukturierung gelöst werden muss.
Die starke Thematisierung des "Sparens" der öffentlichen Haushalte im Sinne einer Austeritätspolitik, die Deutschland den kriselnden EU-Mitgliedsstaaten aufoktroyiert, lenkt den Blick einseitig auf die Ausgabenseite, obwohl die gegenwärtigen Probleme des Sozialstaates in erster Linie auf der Einnahmenseite entstehen. Kaum ein Politiker entzieht sich dem Merkel-Dogma "Keine Steuererhöhungen!", das für die Allgemeinheit desaströse Auswirkungen zeitigt. Gerade die Besserverdienenden und die großen Unternehmen müssten gezwungen werden, ihrer Verantwortung für ein gut funktionierendes Gemeinwesen wieder stärker gerecht zu werden.
Zu fragen ist, ob eine so reiche Gesellschaft wie die Bundesrepublik leere öffentliche Kassen auf der einen Seite und immer mehr Milliardäre und Multimillionäre auf der anderen Seite haben will oder ob sie einen wirksamen sozialen Ausgleich und eine nachhaltige Entwicklung anstrebt. Nur ganz Reiche können sich einen "magersüchtigen" Staat leisten. Denn sie schicken ihre Kinder auf Privatschulen und ausländische Eliteuniversitäten, kaufen alles, was ihr Leben verschönert, selbst und sind auf öffentliche Schwimmbäder, Bibliotheken oder sonstige kommunale Einrichtungen - im Unterschied zu den Armen - nicht angewiesen. Alle übrigen Bevölkerungsschichten benötigen hingegen seine Leistungen und kommen ohne eine gute öffentliche Infrastruktur nicht aus. Wohlfahrtseinrichtungen, Kunst, Kultur, (Weiter-)Bildung, Wissenschaft und Forschung dürfen nicht von kommerziellen Interessen oder der Spendierfreude privater Unternehmer, Mäzene und Sponsoren abhängig werden. Besser für die Allgemeinheit wäre es, sie in der Obhut demokratisch legitimierter Institutionen zu belassen!
Eine nicht nur verbal der Generationengerechtigkeit verpflichtete Regierungspolitik müsste berücksichtigen, dass ein Schuldenabbau bzw. der damit verbundene Rückzug des Staates aus wichtigen Bereichen unter den gegenwärtigen Bedingungen eine schwere Hypothek für künftige Generationen bedeuten würde, neben der die mittelfristig fortbestehende Staatsverschuldung das vergleichsweise kleinere Problem darstellt. Solange der Bund nahezu zinslose Kredite aufnehmen kann, weil Finanzinvestoren in Deutschland einen sicheren Hafen sehen, wird es keine größere Schuldenkrise geben.
Wenn die deutsche Gesellschaft will, kann sie den demografischen Wandel sowie seine Folgen für Ökonomie, Sozialstaat und Stadt- bzw. Raumplanung, die nicht zu leugnen sind, solidarisch bewältigen, denn sie ist so reich wie nie. Was fehlt, sind Maßnahmen der sozialen Umverteilung von oben nach unten, die der Bekämpfung von öffentlicher und privater Armut dienen würden. Ausschließlich die ökonomische Leistungsfähigkeit, nicht das Lebensalter der Bürger/innen und die Generationszugehörigkeit, muss darüber entscheiden, wie sie zum Allgemeinwohl beitragen oder in welchem Maß sie staatlicher Unterstützung bedürfen.
Deutschland braucht nicht "mehr Kinder", sondern eine andere, sozial gerechte Politik, die - statt heutige und kommende Generationen zu entzweien - allen Gesellschaftsmitgliedern ermöglicht, ohne Angst vor Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung zu leben. Wer die "Vergreisung" als Hauptproblem der Bundesrepublik betrachtet, wird eher die Armut an Kindern als die Armut von Kindern bekämpfen. Es geht aber nicht darum, Eltern generell besser zu stellen als Kinderlose, sondern Kinder besser zu stellen, die entweder keine wohlsituierten Eltern haben oder von ihnen vernachlässigt werden.
Nötig ist eine inklusive Bildungs-, Sozial-, Gesundheits-, Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik von Bund, Ländern und Kommunen ebenso wie eine progressivere Steuerpolitik zu ihrer Finanzierung. Entweder ist der Staat bereit, für die Arbeitsmarktintegration (nicht bloß) von Geflüchteten und den sozialen Wohnungsbau erheblich mehr Geld als bisher auszugeben - was bei Verzicht auf Steuererhöhungen ein Ende der "schwarzen Null" und diverser "Schuldenbremsen" bedeuten würde -, oder die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich drastisch vertiefen. Betreibt die Bundesregierung jedoch weiterhin Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung, könnte die wachsende soziale Ungleichheit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden und das politische System zersetzen.
Falls dieser Begriff sozialpolitisch überhaupt Sinn macht, kann "Generationengerechtigkeit" nur bedeuten, dass nachwachsende Geburtsjahrgänge bei steigendem gesellschaftlichem Wohlstand nicht schlechter gestellt werden als frühere Jahrgangskohorten, also etwa keine geringere Altersrente erhalten dürfen. Deshalb darf das Sicherungsniveau vor Steuern, welches zur Jahrtausendwende bei 53 Prozent lag, nicht auf 43 Prozent im Jahr 2030 abgesenkt, muss vielmehr durch Herausnahme der sog. Dämpfungs-, genauer: Kürzungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel (Riester-Treppe sowie Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor) wieder auf den alten Stand gebracht werden. Sonst gibt es keinen angemessenen Lohn für die Lebensleistung der Arbeitnehmer/innen und wird Altersarmut bei steigendem (Alters-)Reichtum in Deutschland womöglich zur Normalität.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge
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