"Win-win für Alle!"
Großes Interesse: Diözesan- und Fachreferenten auf dem 2. Einführungsworkshop für das „Win-win-Projekt“ in EssenChristoph Grätz
Caritas in NRW: Was reizt Menschen am Ehrenamt?
Heinz Janning: Wir beobachten heute sehr unterschiedliche Motive, wenn Menschen sich freiwillig engagieren. Dazu gehört sicher, etwas für andere tun zu wollen, Nächstenliebe zu praktizieren, einen eigenen sehr praktischen Teil an der Gestaltung einer christlich-humanen Gesellschaft leisten zu wollen. Doch wir erleben auch einen entscheidenden Wandel: Menschen engagieren sich auch für sich selbst. Sie möchten mit ihren eigenen Gaben und Bedürfnissen eine Rolle spielen. Engagement soll etwas mit Sinn, Nutzen, Spaß oder Freude oder anderen "selbstbezogenen" Motiven zu tun haben.
Caritas in NRW: Wer sich freiwillig engagiert, wer ein Ehrenamt übernimmt, der erwartet einen persönlichen Mehrwert?
Heinz Janning: Das ist eine Sichtweise, ja: Als Engagierter möchte ich an der Realisierung mir wichtiger gesellschaftlicher Ziele - oder sagen wir auch Werte - mitwirken, das macht mich für meinen eigenen Lebensentwurf zufrieden. Ich kann damit ein wenig zur Verbesserung der Lebensqualität eines anderen beitragen - jedenfalls im sozialen Ehrenamt.
Für immer mehr Engagierte ist ihr Mittun auch Teil einer sozialen Beheimatungsstrategie: Ich möchte mich mit und bei anderen, also in der Gruppe zusammen mit den anderen Ehrenamtlichen, aufgehoben fühlen. In einer nennenswerten Befragung war es den Engagierten wichtig, "mit sympathischen Menschen zusammen zu sein".
Caritas in NRW: Was ist Ehrenamtsmanagement? Und warum ist Ehrenamtsmanagement heutzutage wichtig für soziale Organisationen?
Heinz Janning: Wir schauen in mindestens zwei Richtungen: in die Organisation und in die Richtung der Ehrenamtlichen oder auch der potenziellen Ehrenamtlichen. Ehrenamtlichkeit fällt nicht mehr wie selbstverständlich vom Himmel. Die Lebenssituation und die persönlichen Einstellungen zum Engagement verändern sich - zum Teil gewaltig. So kann sich die Arbeit mit und für Ehrenamtliche gar nicht mehr nach den gleichen Mustern wie vor 20 oder 40 Jahren vollziehen.
In Richtung Organisation zu schauen meint: Welche organisationalen Voraussetzungen muss eine Einrichtung haben, damit sie den heutigen Anforderungen in allen Fragen der Ehrenamtlichkeit gerecht werden kann? Dazu gehört die Frage des Selbstverständnisses ("Warum arbeiten wir eigentlich mit Ehrenamtlichen?") bis hin zur Gestaltung eines angemessenen Verhältnisses von beruflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitenden.
Die zweite Blickrichtung geht auf die Ehrenamtlichen selbst - man könnte diese als eine Art "Personalentwicklung bzw. -management" bezeichnen. Wie gewinne ich heute erfolgreich passende Freiwillige, wie gestalte ich deren Einführung und Begleitung, wie sieht unser Wertschätzungsklima aus? Und auch dies ist für viele immer noch überraschend: Wie sieht die Beendigung eines Engagements aus?
Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass ein so verstandenes Ehrenamts-(EA-) Management dazu führt, dass die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen erfolgreich ist. Eine Schlüsselrolle haben dabei die sogenannten EA-Koordinatoren. Für die Realisierung einer guten EA-Arbeit muss es eine entsprechende personelle Ressource geben. In einer empirischen Studie hat ein Institut in Freiburg (zze) festgestellt, dass die "Einrichtungen mit ... einer personellen Ressource ... einen deutlich größeren Freundes- und Helferkreis vorweisen".
Caritas in NRW: Könnten Ehrenamtliche auch von Ehrenamtlichen betreut, begleitet, qualifiziert und weiterentwickelt werden?
Heinz Janning: Das von mir als zentral bezeichnete Aufgabenfeld der EA-Koordination ist nicht auf eine berufliche Rolle und auch nicht auf eine einzige Person fixiert. Auch Ehrenamtliche können selbstverständlich "Leitungskompetenzen" haben - aber sie müssten sie auch schon haben, um Leitung zu praktizieren.
Ich liebe ja immer noch das langjährig praktizierte Modell der Jugendgruppenleiterschulungen, das ich selbst bereits mit 14 und 16 Jahren mitmachen durfte. Ich habe noch heute in Erinnerung, was wir in Sachen Gruppenpädagogik gelernt haben, wie Gruppen funktionieren, was Leitungsstile sind. Wenn wir heute in die EA-Landschaft schauen, leiten Heerscharen von Erwachsenen EA-Gruppen - und man kann sagen: nicht nur mit Erfolg. Die Arbeit mit und in Gruppen und die angemessene Realisierung von Zielen in der sozialen Arbeit - das setzt schon einige Kenntnisse und auch soziale Kompetenzen voraus.
Caritas in NRW: Laufen solche (Ehrenamts-)Strukturen in Selbstorganisation auf Dauer vor die Wand?
Heinz Janning: Nein - vorausgesetzt, sie arbeiten demokratisch (und nicht hierarchisch), transparent und offen (nicht geschlossen) - um nur einige Merkmale von erfolgreicher Netzwerkarbeit zu benennen. Aber so was muss man halt auch können bzw. lernen. Das läuft eben nicht mehr nur von selbst.
Übrigens ist ein wichtiges Zukunftsmerkmal eines erfolgreichen EA-Managements die möglichst weitgehende Einbeziehung oder gar Beteiligung von Ehrenamtlichen. Es gibt interessanterweise zwei beispielhafte Altenhilfeeinrichtungen in Deutschland, die quantitativ und vor allem aber qualitativ sehr erfolgreich arbeiten. In beiden Häusern (in Hamm und in Bremerhaven) verfolgen die Ehrenamtlichen die Idee und Praxis der Selbstorganisation. Sie agieren als eigenständige Vereine und praktizieren den Austausch mit der Einrichtung immer auf Augenhöhe.
Caritas in NRW: Welche Anforderungen stellt eine rege Ehrenamtskultur in einer Organisation an deren hauptamtlichen Leiter?
Heinz Janning: Mein Bild dazu ist: Ehrenamtsmanagement ist Chefsache. Es geht um eine wichtige konzeptionelle (Neu-)Gestaltung der sozialen Arbeit in der Einrichtung. Wir bewegen uns heute in Richtung eines produktiven Mix von professioneller, nachbarschaftlicher und ehrenamtlicher Arbeit auch unter aktiver Einbeziehung von Familienmitgliedern. Das führt zu Veränderungen im Berufsbild zum Beispiel von Bezugspädagogen in der Behindertenhilfe oder auch von Pflegekräften in der Altenhilfe. Ehrenamtliche gelten in diesem Sinne als sogenannte Ko-Produzenten in der sozialen Arbeit.
Da muss im Vorfeld der Etablierung eines nennenswerten EA-Managements viel Überzeugungsarbeit geleistet werden - ich nenne das "mentales Training". Also ist Ehrenamt Chefsache - auch in dem Sinne, dass dieser nicht nur dahintersteht, wie man so sagt, sondern aktiv danebensteht. Die Realisierung dieser Ziele ist harte Arbeit - aber mit sehr bedeutsamer Perspektive.
Caritas in NRW: Wie kann man so etwas fördern und ausbilden?
Heinz Janning: Zu einer solchen Strategie trägt das win-win-Projekt durchaus bei - dadurch dass Mitarbeitende aus Einrichtungen und Diensten sich als EA-Koordinatoren ausbilden lassen, dass Umsetzungsprozesse auch vor Ort begleitet werden und indem bei den großen Tagungen für Leitungskräfte wichtige Impulse genau in diese Richtung gegeben werden.
Ich selbst habe im Laufe der letzten 15 Jahre zahlreiche EA-Koordinatoren fortgebildet. In einigen Einrichtungen hat sich da sehr viel Wichtiges getan - im bisher beschriebenen Sinne. Dabei ist eben der Blick nach innen, in die Organisation (also auch zur Rolle der Leitung), ganz bedeutsam. Die Teilnehmer müssen konkret viel mit ihrem Chef gearbeitet haben und mit ihren Kollegen.
"win-win für Alle!" ist ein ESF-Projekt (ESF =Europäischer Sozialfonds) der fünf Diözesan-Caritasverbände in NRW. Ziel des Projektes ist es, das Ehrenamtsmanagement und das neue Berufsprofi l der Ehrenamtskoordinatorin / des Ehrenamtskoordinators in den Blick zu nehmen, weiterzuentwickeln und in den Diensten und Einrichtungen der Caritas in NRW zu etablieren. Auf grundlage der Erkenntnisse und Ergebnisse dieses Projektes wird die Arbeit der Ehrenamtlichen in den Caritaseinrichtungen in NRW unterstützt. Die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen wird weiterentwickelt und professionalisiert. last, but not least werden die institutionellen Rahmenbedingungen und leitungsaufgaben konkretisiert und transparenter. Zwei Trainer begleiten die Projektteilnehmer.